Fotos: Harald Mohr. V.l.n.r. Julian Volk (Slow Food, Moderation), Reiko Wöllert (Hofkäserei Burgmühle & ABL), Heike Mohr (Slow Food, freie Journalistin), Karina Both-Peckham (issdichgluecklich.blog & Peckham’s), Gabi Ohler (Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport)
Slow Food Aktivitäten und geplante Projekte
Tatsächlich gibt es eine Vielzahl an Slow Food Aktivitäten und geplanten Projekten, die dies möglich machen und kurz von Heike Mohr vorgestellt wurden:
- Slow Mobil, eine rollende Küche, die zu Kindergärten, Horten und Grundschulen kommt und Kindern den Spaß am gemeinsamen Kochen und Essen zeigt
- Kinderkochclubs
- Sinnestraining
- Schulgärten
- Ernährungswochen in Schulen
Projekte wie diese unterstützen die angeborene Neugierde der Kinder, Lebensmittel zu entdecken und selbst zu verarbeiten. Und zwar in ihrer natürlichen, unbehandelten Form – frei von den aktuell noch von Handelsketten diktierten Vorgaben, sei es die berühmte Krümmung der Gurke oder die Verpackung von Obst und Gemüse in Plastik, als würde die natürliche Verpackung der Natur – die Schale – nicht ausreichen.
Handelsketten und auch EU-Richtlinien bewegen sich auf dem Lebensmittelmarkt teils und langsam in die richtige Richtung. Wenn unsere Kinder schon jetzt mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass jedes Gemüse und Obst seine natürliche Schönheit hat, eine stark gekrümmte Gurke und eine dreibeinige Möhre noch viel spannender und hübscher anzusehen sind, als in Normen gepresste gerade Gemüsestangen, dass eine Banane die beste Schale der Welt hat und mitnichten eine zusätzliche Folie braucht – dann werden die positiven Ansätze von der neuen, heranwachsenden Generation um so schneller in der Zukunft in die Tat umgesetzt und langfristig etabliert werden können. Und wir stellen – nach den Fehlern, die die zunehmende Industrialisierung des Lebensmittelanbaus und -marktes leider eben auch mit sich gebracht hat – die Weichen wieder in die richtige Richtung.
Im kommenden Jahr wird es vielleicht die ein oder andere Möglichkeit geben, dass ich auch mal im Slow Mobil oder in Kinderkochclubs dabei bin, ich freue mich schon riesig darauf.
Projekte wie diese sind fantastisch – aber erst der Anfang.
Von großer Bedeutung ist, neben Aktions-Highlights, das tagtägliche Essen in den Kitas und Schulen. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass mir der Kartoffelstampfer vor Schreck aus der Hand gefallen ist, als mir meine Tochter nach 4 Jahren Kindergartenverpflegung eröffnete, dass ich mir die Arbeit mit diesem selbstgemachten Kartoffelbrei doch sparen kann. Der Tütenkartoffelbrei aus der Verpflegung würde ihr doch viel besser schmecken, außerdem wären da „keine Stückchen“ drin. Fisch gerne, aber nur paniert – und weich, „mach sie bitte nicht knusprig, die sind bei uns IMMER weich“. Zwei Beispiele von vielen die zeigen, wie prägend die Kita- und Schulverpflegung in den Köpfen unserer Kleinen ist. Weil sie dort mit vielen anderen Kindern gemeinsam essen – ein ganz wesentlicher sozialer Faktor beim Erlernen von Essgewohnheiten.
Da hilft auch keine Foodbloggermama, die Abends und am Wochenende immer wieder frisch zubereitete Lebensmittel anbietet, von Vitaminen im leckeren Gemüse erzählt, das nicht unbedingt in Fix-Sauce ertränkt werden muss, um genießbar zu sein.
Das Ergebnis: Meine Tochter weiß sehr wohl, was eine Avocado ist, wie Zucchini und Kartoffeln angebaut werden, dass Paprika viel Vitamin C enthält und der Körper diese Vitamine und Mineralstoffe braucht, um groß und stark zu werden. Ganze Vorträge könnte sie darüber halten. Aber am Esstisch kommt trotzdem immer das gleiche Feedback: „Das ist nicht wie im Kindergarten. Das mag ich nicht. Kannst du nicht bitte einfach alles so kochen, wie es im Kindergarten ist?“
Seit 2 Wochen besucht sie nun die Schule und ist hellauf begeistert: „Mama, weißt du was? Das Essen schmeckt da genau so gut wie im Kindergarten!“ Yeah!
Kann man da irgendwo ansetzen?
Gibt es die Möglichkeit, Gelder nicht ausschließlich in vorübergehende Projekte zu investieren, sondern ergänzend auch Lösungen für die tägliche Verpflegung der Kinder zu entwickeln?
Gabi Ohler gab zu Recht zu bedenken, dass viel auch in der Entscheidung der Eltern begründet ist, möglichst wenig Geld für die Kita- und Schulverpflegung und die entsprechende Wahl des Cateringanbieters auszugeben. Wenn es nicht jeden Tag Fleisch sein müsste, sondern vielleicht eher 2 Mal die Woche, dann würde das Anbietern tatsächlich schon etwas mehr Spielraum geben, in qualitativ hochwertigere Lebensmittel zu investieren.
Welche Qualität kann man für 50 Cent erwarten?
Da hat Frau Ohler völlig recht. Es liegt ja auf der Hand, wenn ein Schulessen nicht mehr als 2,90 Euro kosten soll, was bleiben denn da abzüglich Personalkosten, Arbeitsmaterialien, Miete, Nebenkosten, Transport und Logistik für Möglichkeiten? Da verbleibt vielleicht gerade mal ein Euro für den Einkauf der Lebensmittel, was für ein vegetarisches Gericht schon große Herausforderungen mit sich bringt, aber wenn es jeden Tag Fleisch sein soll, nahezu unmöglich scheint.
Da drängt sich mir die Frage auf: Was ist das dann für ein tägliches Fleisch, das für 50 Cent zu bekommen ist? Würde dieser Gedanke verstärkt thematisiert, sähen sich sicher viele Eltern veranlasst, über ein paar Cent mehr und ein paar Portionen Fleisch weniger die Woche ernsthaft nachzudenken. Und das rechtzeitig, so lange die Kinder noch klein genug sind, um unvoreingenommen und mit natürlicher Neugierde an das Thema Essen heranzugehen.
Oder man lässt die Wahl:
Vegetarisches Grundgericht und Fleisch als dazubuchbare Option? Funktioniert im Übrigen in unserem kleinen Bistro-Café Peckham’s seit Jahren ausgezeichnet. Als vor Jahren ein Aufschrei durchs Land ging, weil ein Veggie-Day in Betracht gezogen werden sollte, setzten wir in unserer Bistro-Küche an einer ganz anderen Stelle an:
Wir entwickelten unsere Rezepte so weiter, dass sie als vegetarische Version schon kulinarisch völlig überzeugen. Und wer mag, kann sich sein Fleisch in der gewünschten Qualität gegen einen entsprechenden Aufpreis dazu buchen. Erst buchten die meisten das Fleisch, dann probierten sie es nach ein paar Tagen doch auch mal ohne – wer spart denn nicht gerne mal ein paar Euro. Und schwuppdiwupp waren binnen kürzester Zeit rund 70 Prozent unserer Gäste zufriedene Teilzeitvegetarier – auch bekannt als Flexitarier – die sich tatsächlich nur ein oder zwei Mal die Woche ein Stück Fleisch oder Fisch gönnten – und dann am besten gleich in Bio-Qualität aus artgerechter Tierhaltung.
Das hat uns die Möglichkeit gegeben, auf gute Lebensmittel zu setzen, die dennoch zu einem vernünftigen Preis angeboten werden können. Diese Möglichkeit wäre auch der Kita- und Schulverpflegung gegeben. Am Besten, bevor Schüler alt genug sind, sich dann lieber ganz von der Schulverpflegung abzuwenden und sich eine Bockwurst mit Brötchen und einen Schokoriegel aus dem Supermarkt um die Ecke zu ‚gönnen‘.
Investition in Aufklärung
Wie viel lässt sich bereits mit ein paar Cent mehr pro Portion bewegen? Würde die intuitive und selbstgesteuerte Reduktion des Fleischkonsums durch Wahl-Komponenten weiterhelfen? Welche Möglichkeiten bietet eine teilweise vegetarische Küche, damit sie nicht in einfallslosen Eintöpfen und kalorienreichen aber ansonsten inhaltsleeren Süßspeisen wie Hefeklößen mündet, die die wenigsten Kinder und Eltern überzeugen? Vielleicht gibt es die Möglichkeit, hier anzusetzen und in die Aufklärung der Eltern und auch der Cateringanbieter zu investieren.
Hygienestandards vs. Naturbelassenheit
Reiko Wöllert gab ergänzend zu bedenken, dass auch die – fraglos notwendigen – Hygienevorschriften in ihrer ganzen Strenge die Versorgung von Kitas und Schulen mit naturbelassenen, echten Lebensmitteln erschweren. Rohmilch beispielsweise ist kategorisch aus dem Verpflegungskreislauf verbannt. Dies mag angesichts in Einzelfällen drohender Keimbelastung völlig legitim sein – aber muss die Hygiene gleich in ultrahocherhitzter H-Milch enden, die außer der milchig-weißen Farbe mit dem Lebensmittel Milch nicht mehr viel zu tun hat? Reiko Wöllert gibt auch zu bedenken, dass viele Unverträglichkeiten, die unsere Kinder zunehmen belasten, auf überindustrialisierte Nahrung zurückzuführen sind. Tatsächlich war ich vor 3 Jahren bei den Recherchen für meinem Blogartikel „Paläo goes veggie“ auf eben solche Informationen gestoßen:
„Bei meinen Recherchen stolperte ich über einen ungemein spannenden Fakt, der von der Lebensmittelindustrie gerne unter den Teppich gekehrt wird:
Durch die Pasteurisierung der Milchprodukte – und in gängigen Supermärkten ist fast nichts anderes als pasteurisierte Ware zu bekommen – werden nicht nur unliebsame Keime, sondern auch ein Großteil der Vitamine, die natürliche Struktur des wertvollen Eiweißes und die allergiehemmenden Inhaltsstoffe zerstört.
Und nicht nur das: Naturbelassene Rohmilch enthält Laktase – das wichtige Enzym, das bei der Verdauung der Milch einen wesentlichen Beitrag leistet und bei Menschen mit Laktoseintoleranz nicht ausreichend im Verdauungssystem vorzufinden ist. Wie nahe liegend ist da der Gedanke, dass die industrielle Pasteurisierung aller Milchprodukte, die wir täglich zu uns nehmen, großen Anteil an der so plötzlich wachsenden Zahl laktoseintoleranter Menschen haben kann.
Natürlich sind pasteurisierte Milchprodukte wunderbar sicher für den Konsumenten, so herrlich keimfrei, dass es eine glatte Freude sein könnte. Aber zu welchem Preis? Um dann Vitamine und in laktosefreien Produkten auch noch Laktase wieder künstlich zuzusetzen, wie es viele Hersteller tun? Dabei bietet auch schon eine regelmäßige, unabhängige Kontrolle unter Beachtung der strengen Hygienevorschriften der Europäischen Union große Sicherheit beim Verzehr von Rohmilchprodukten, wie Rohmilchkäse. Vorausgesetzt sie werden nicht während der Schwangerschaft, von Säuglingen oder Kleinkindern verzehrt, denn ein Restrisiko ist auch bei zuverlässiger Kontrolle nicht ganz auszuschließen. Alle, denen Rohmilchprodukte am Herzen liegen, werden in Fachgeschäften fündig, wie Käse- und weitere Feinkosthändler oder ausgewählte, geprüfte Bauernhöfe in der Region.“ (Paläo goes veggie vom 6. September 2015)
Fazit
Die Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung ist ein rundum interessantes Feld mit vielen Ansätzen und Möglichkeiten, die in der Podiumsdiskussion natürlich nur kurz angerissen werden konnten. Den ein oder anderen spannenden Denkanstoß gab es aber allemal.
Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem meine beiden Töchter sagen: „Mhmm, Mama, es gibt echt nichts Besseres als deinen handgestampften frischen Kartoffelbrei.“
Dann sage ich wirklich „Yeah!“.
Fotogalerie
Hier ein paar Einblicke ins quirlige Messeleben, den Slow Food Stand und die Slow Food Kochevents auf der Messe ‚Besser Leben in Thüringen“:
Fotos: Harald Mohr und Karina Both-Peckham
Spitzenköche zaubern mit den Besuchern aus gerettetem Gemüse und Obst fantastische Suppen in der Schnippeldisko mit Detlef Knippel (Kromers), Harald Mohr (Slow Food), Tanya Harding (Tanya Harding Arnstadt), Ralph Fischer, Frau Fischer, Maik Straubing (allespasstda) und der ersten Erfurter Kresse Ernte der Saison. Mit dem Erlös unterstützt Slow Food Schulgartenprojekte und das Pausenbrot-Projekt der Bäckerei Roth.
Slow Food Weimar Thüringen präsentiert am Messestand Genussproduzenten aus Mitteldeutschland.
Weiterführende Infos findet ihr hier:
https://www.slowfood.de/slow_food_vor_ort/weimar_thueringen/termine/besser_leben/
https://www.besser-leben-thueringen.de